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"Healing the community" - Swing unter Corona

Swingtänzer am Alexanderplatz 2017. almaundich
Swingtänzer am Alexanderplatz 2017. almaundich

Wenn ich mittlerweile Facebook aufmache, dann schaue ich zuerst an einer Stelle nach: der Swinggruppe meiner Stadt. Denn der Ort, der mich früher darüber informierte wo wir tanzen würden, wen man treffen würde, wer gelistet war fürs nächste Konzert, wo ich Freunde, Bekannte, Swingfreunde traf - das ist nun der Ort, an dem Coronaleugner und Corona"Verteidiger" aufeinander treffen - immer und immer wieder.

 

Einige stilisieren sich zu Freiheitskämpfern weil sie auch unter Corona ohne Maske und mit wechselnden Partnern tanzen, weil sie nicht an Corona "glauben", zusammen mit Menschen demonstrieren, die die alte Deutschlandfahnen schwenken und Impfen für eine Erfindung von Bill Gates halten weil sie glauben, dass wir alle fremdgesteuert werden soll und Corona nur eine Erfindung ist.  Momente, in denen ich wirklich nicht glauben kann, was ich sehe. Wie kann man als Freund der Swingmusik mit Menschen zusammengehen, die ins rechte Lager tendieren? Was ist bloß geschehen? Was ist hier passiert? Ich lese es und muss durchatmen. 

 

Auf der anderen Seite reden die anderen dagegen. Reden darüber, solidarisch zu sein mit Menschen, die zu Risikogruppen gehören, Masken zu tragen und einfach mal NICHT zum Tanzen zu gehen. Und auch nicht zu agitieren, nicht Werbung zu machen für diese Veranstaltungen, bei denen potentiell Übertragung und Infektion möglich ist. Es reden eigentlich nur Menschen, die nicht selber Kurse geben oder Tanzschulen haben - natürlich halten sich die zurück, die Geld damit verdienen, dass wir bei ihnen lernen. Ich verstehe es ja  - aber es ist auffällig. Die Köpfe hauen sich also die anderen ein - diejenigen, die einfach tanzen und sich immer in der Community wohl gefühlt haben. Vermutlich so wie ich - das war für mich die einzige Gruppe jemals, in der ich mich von Anfang an wohl gefühlt habe, in der fast jeder willkommen war und man sich mit den allermeisten verstand - völlig unabhängig vom Alltag. . 

 

Meine Meinung dazu? Mittlerweile habe ich das Gefühl, Coronaleugner haben keine Argumente, sondern einen Glauben - denn man kann mit ihnen nicht reden, auch Aufrufe zur Solidarität fruchten nicht. Menschen, die glauben, sind keinen Argumentationen zugänglich, Glauben zählt ja keine Argumente. Es zählt irgendwie nur das eigene, gefühlte Ich. Und der Glaube daran, dass "das Alles" nicht echt ist, sondern eine "Erfindung". Überspielt mit Agitation, derailing und Abwertung gegenüber dem Anderen und Verletztheit weil einem ja "nicht wirklich zugehört" würde. Eine Diskussion ist mittlerweile auf beiden Seiten nicht mehr möglich - die Situation ist viel zu verbohrt. Sogar privat habe ich schon Diskussionen angefangen weil ich das Gefühl hatte, meine Position würden nicht verstanden. Denn ich will nicht schweigen, wenn es mir wirklich immer wieder gegen den Strich geht. Nur freundliches Aufrufen zu einem angenehmem Umgangston scheint mir zum Teil nicht mehr angebracht. Also sage ich meine Meinung, freundlich aber bestimmt. Und treffe damit selbst im privaten Umfeld auf Gegenwind, diskutiere und denke dann: was zum Teufel ist hier eigentlich los????

Werden wir nach Corona irgendwie wieder zueinander finden? Langsam bezweifle ich das sehr, denn es fühlt sich an als wären die Gräben mittlerweile zu tief und ich weiß nicht, wie die zu späterer Zeit wieder gekittet werden sollen. Soviel Abwertung lässt sich schlecht heilen. "Healing the Community" war bislang ein Spruch, den ich aus US-Amerikanischen Dokus kannte - aber nicht aus meinem Umfeld. Jetzt fällt er mir hier immer wieder ein und ich möchte eigentlich nur eins: ganz blauäugig möchte ich die Zeiten zurück, in denen wir uns zum Tanz trafen. 

 

Natürlich weiss ich, dass das nie passieren wird. Dinge sind geschehen und wir werden sie nicht mehr vergessen. Wir wissen, wer was gesagt hat, wer was getan hat - auf beiden Seiten. Wird's jemanden geben, der "Recht behalten" wird? Unwahrscheinlich, es ist alles zu komplex. Ich glaube nicht, dass es ganz easy wird, wenn wir irgendwann tatsächlich wieder beim Tanz sein werden.  Da muss schon einiges passieren, damit das vergessen und vergeben wird, was jetzt unter Corona passiert. Wie es ja überall heißt: Corona bringt die bereits vorhandenen Risse noch stärker zum Vorschein. So auch hier. Wandelt sich die Community? Wird sie heilen? Wird sie anders, aber trotzdem gut sein?

 

Manchmal möchte ich dasitzen und trauern. Um die einzige Community, der ich mich je zugehörig gefühlt habe. 

 

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